Jesus Christus spricht: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig
ist.
< Lukas 6, Vers 36 >
Liebe Gemeinde,
Daniil Granin, ein russischer Journalist, beschreibt seine Erlebnisse in
St. Petersburg, dem früheren Leningrad: Er liegt blutend am Boden, es
fällt ihm schwer, sich aufzurichten, und niemand kümmert sich um
ihn, jeder geht vorbei. Ein erschreckendes Erlebnis, sieht so das Zusammenleben
der Zukunft aus? Nur der Starke zählt, der Hilflose ist abgeschrieben,
hat keinen Platz in einer Gesellschaft, die den Menschen und seine
Bedürfnisse als kostentreibenden Produktionsfaktor sieht, Krankheit
und Schwäche als wirtschaftliche Störfälle betrachtet. Diesem
Bild des Menschen stellt die Bibel das Bild des von Gott geschaffenen gefallenen
Mensch entgegen, der auf die Barmherzigkeit Gottes angewiesen ist, und deshalb
barmherzig handeln muß, auch dann, wenn kein wirtschaftlicher Erfolg
die Bemühungen krönt. Für Christen ist Barmherzigkeit ein
Herzstück des Glaubens, und deshalb haben sie in ihrer Geschichte Orte
der Barmherzigkeit geschaffen hat, zu denen man hingehen konnte Tag und Nacht.
Pfarrhäuser und Schwesternhäuser waren Orte der Barmherzigkeit,
bei denen man Anklopfen konnte. Im Laufe der Zeit wurde die Barmherzigkeit
durch die Sozialgesetze ersetzt und die Orte der Barmherzigkeit, bei denen
man ein Anklopfrecht hat, wurden verlagert und die Anklopfzeiten geregelt.
Den großen Helfern der Menschheit, wie z. B. Albert Schweitzer oder
Mutter Theresa, gilt unsere Bewunderung. Für den Hilfsbedürftigen
vor unseren Füßen ist jemand von Amts wegen zuständig, da
können wir getrost vorbeigehen. "Seid barmherzig", spricht Jesus von
Nazareth.
Ihr
Pfarrer F. Schmidt