Protestantische Kirchengemeinde
Eisenberg/Pfalz


Über den Kirchturm hinaus 

„Wir schauen wie durch ein Fenster auf das Leben”

Über den Kirchturm hinaus: Pfarrer Karl-Ludwig Hauth über die Bedeutung der Fähigkeit, am realen Geschehen teilzunehmen

Es ist ein eigentümlicher Widerspruch: Die grausamsten Schicksale, die brutalsten Tode, unvorstellbare Verbrechen und das Zerbrechen von hoffnungsvollen Lebensbildern scheinen zu unserem Alltag zu gehören - doch nur in den Medien, in Filmen und Magazinen. Wie durch ein Fenster schauen wir zu, wenn für andere die Welt zerbricht.

Und dann: trotz Hospizbewegung, trotz vielfältiger Unterstützung durch professionelle Dienstleister, trotz reicher Ressourcen zur Bewältigung - der Tod wird mit allem, was er den Menschen bedeuten kann und muss, aus dem Leben vieler einfach ausgeblendet.

Es sind die „Spezialisten”, die sich aufmachen und anderen zur Hilfe eilen. Zum Glück gibt es davon noch einige: Menschen, die sich ehrenamtlich Nachts ans Telefon setzen und sich die Sorgen vieler Vereinsamter und Verzweifelter anhören und ein bisschen Trost und Nähe weitergeben. Menschen, die sich ausbilden lassen, am Bett eines Sterbenden auszuharren und dabei dem Menschen bis zuletzt zugewandt bleiben. Menschen, die sich mitten in der Nacht wecken lassen, weil andere Hilfe brauchen, im Rettungsdienst, bei der Feuerwehr, bei den Krisenhelfern und Notfallseelsorgern. Menschen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Familien und Angehörige in den Stunden zu unterstützen, wenn es gilt, Abschied zu nehmen, weil ein Mensch verstorben ist.

Man gewöhnt sich daran, dass diese Menschen da sind: Ein Toter soll hergerichtet werden, das Schicksal erklärt oder leichter gemacht, seelische Verletzungen vermieden werden und die Beeinträchtigung des eigenen Lebens minimiert werden.

Irgendwann stellt man fest, dass man nicht zu Hause war, als das wirkliche Leben durch das Leben raste. Man war vielmehr damit beschäftigt, durch das Fenster zu beobachten, sich zu organisieren und das eigene Leben zu erfinden. Als man sich selbst und dem Leben hätte begegnen können, verlässt man sich nur auf Fremde.

Wir brauchen mehr Menschen, die es wagen, sich dem wirklichen Leben auszusetzen, die nicht nur im Fenster der Medien sitzen bleiben. Menschen, die sich berühren lassen von den Fragen und Zweifeln, den Nöten der Nachbarn, der Kollegen, der Freunde, die Trauer zulassen und Hoffnung ahnen, die sich der Zerstörung und der Verzweiflung des Lebens entgegenstemmen und sich nicht wegducken, wenn das Leben durch das Leben rast.

Wie schon Jesus gesagt hat: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, mit ganzer Hingabe und mit deinem ganzen Verstand! Dies ist das größte und wichtigste Gebot. Ein zweites ist ebenso wichtig: Liebe deine Mitmenschen wie dich selbst!” (Mt 22,37f)

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DER AUTOR

Pfarrer Karl-Ludwig Hauth betreut seit 21 Jahren das Protestantische Pfarramt 2 in Eisenberg. Der 49-Jährige ist verheiratet und hat drei Kinder.


 

DIE RHEINPFALZ - Unterhaardter Rundschau - Nr. 205, Samstag, 03. September 2011, Seite Nr. 16


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